Basilisk Verlag
64385 Reichelsheim
Hardcover mit Schutzumschlag 6.5.2003 Covermotiv von Adrian Maleska; mit Illustrationen von Alex Mastny
ISBN 3-935706-07-3
174 Seiten 1390
Der fünfte Fahrgast ist, oder besser war, die kleine Helene von Hörig, die anscheinend im Nachtzug von Wien nach Düsseldorf spurlos verschwunden ist. Da die Wiener Polizei die Sache unter den Teppich kehren will, wendet sich die Mutter des kleinen Mädchens an den jiddischen Detektiv Jakob Rubinstein, der diesen Fall aufgrund seiner mittlerweile horrenden Schulden, mehr als gut brauchen kann. Bei seinen Ermittlungen stellt Rubinstein, mit Hilfe seiner chronisch unterbezahlten, aber äußerst fähigen, Sekretärin Rita, schnell fest, dass auch den anderen Fahrgästen des entsprechenden Wagons seltsame Dinge zugestoßen sind, denn fast alle sind seitdem in psychiatrischer Behandlung... Landgasthaus Einsamer Wanderer ist der letzte Anhaltspunkt, nachdem Ilona Gazetti, die Schwester von Rubinsteins Freund Nicolas, zunächst verschwand und dann völlig verwirrt gefunden wurde. Anfangs hat der Detektiv alle Hände damit zu tun, seinen Freund davon abzuhalten, selbst Recherchen anzustellen. Als sich dann beide auf eine Zusammenarbeit geeinigt haben, finden sie den Schuldigen – doch es ist natürlich anders, als sie es sich ausgemalt hatten... Wenn das Unglück zuschlägt, dann meistens gleich richtig, wie im Falle des verstorbenen Malers Eduard Kaminsky. Rachel Rubinstein, der Schwester des Detektivs, kommt der plötzliche Tod sehr merkwürdig vor, zumal der Künstler zu der von ihr organisierten Vernissage seiner eigenen Werke eingeladen war. Es stellt sich heraus, dass der Tote erstaunlich schnell unter die Erde kam – der Grund zeigt sich dem Zweigespann Jakob und Nicolas erst nachdem sämtliche involvierte Behörden komplett auf den Kopf gestellt wurden... Renée Reno ist allerdings noch schwieriger zu finden, denn diese Frau scheint es nie wirklich gegeben zu haben – wie das halbe Leben des Auftraggebenden Klienten auch. Jakob Rubinstein wird vor immer neue Rätsel gestellt, und vor allem der Kunde macht das Ganze noch viel schwieriger, weil er anscheinend nicht die Wahrheit sagt. Doch der Ermittler lässt nicht locker, denn wenn er eins hat, dann ist das ein ziemlicher Dickkopf – mit dem er allerdings eine Wahrheit findet, die ihm selbst nur weitere Probleme bringt... In der Hofburg wird dann die schlussendliche Abrechnung mit dem Innenminister Frank Rohrschach zelebriert, der Rubinstein immer wieder Steine in den Weg legt, und nun auch noch die Mittel dazu von ihm selbst geliefert bekommt. Beim Besuch des Amtes, um sich den Anschuldigungen zu stellen, finden sich allerdings Tatsachen, die seine Ermittlung bereits im Amt beginnen lässt. Dabei begibt er sich, mittlerweile ohne Detektivlizenz, auf noch dünneres Eis, als er es ohnehin unter seinem übergewichtigen Köper hatte, und riskiert nun neben seiner Zukunft auch noch sein Leben...
Jakob Rubinstein ist eine Anthologie, auch wenn es zunächst aufgrund des thematischen Zusammenhangs nicht so ausschaut. Alle fünf Geschichten zelebrieren die gleichen Anspielungen, was nicht überstrapaziert wird, sondern eher auflockernd eingestreut ist. Außerdem gibt es immer wieder Bezüge auf die vorangegangenen Inhalte, was einen angenehmen Aha Effekt verursacht, und partiell auch für Gleichnisse gut ist. Bei den Figuren hat der Autor ein glückliches Händchen bewiesen, da die Charaktere in ihrer relativ plastischen Form schnell Möglichkeit zum Mitfiebern geben. Es fallen immer wieder kleine Parallelen zu Dirk Gently (dem holistischen Detektiv von Douglas Adams) auf, wobei Jakob Rubinstein natürlich vor allem in Punkto Skurrilität und Klasse nicht mithalten kann. Der etwas eigenwillige Polizist ist mit seinen Macken – wie seiner Schusswaffen Phobie, wegen der er auch den Polizeidienst „quittiert bekam“, oder seine Allergie gegenüber dem Innenminister, der immer wieder seinen Weg kreuzt. Eine recht liebenswerte Person also, und der Leser kann sein Handeln gut nachvollziehen. Ähnlich ist es bei seiner Sekretärin, die zwar etwas farblos bleibt, aber doch durch ihre Kompetenz und hintergründige Freundlichkeit liebenswürdig wirkt. Damit es nicht zu langweilig wirkt, und der Grund für einige Wortgefechte gegeben ist, wurden noch Figuren wie der homosexuelle Bekannte und die streng jüdisch lebende Schwester eingeführt, die ihren Zweck sehr gut erfüllen. Randfiguren, aber keinesfalls unwichtig sind überdies die Katze der Sekretärin, Dr. Watson, und die drei Goldfische Sammy, Davis und Junior, welche der Detektiv aufgrund seiner Vorliebe für Frank Sinatra mit diesen Namen ausgestattet hat. Wie die Nebenfiguren (verrückte Professoren, verschlagene Beamte und Vollgötter in weiß) sind auch die Hauptcharaktere überzogen dargestellt, was zudem für einiges Schmunzeln sorgt, da gewisse menschliche Eigenarten sehr offensichtlich ins Auge stechen. Bei den Gegenspielern handelt es sich hingegen fast ausschließlich um stereotyp angelegte Figuren, meist Doktoren mit verrückten Experimenten, die der jetzigen Realität weit entrückt sind. Die erzeugte Atmosphäre fesselt den Leser an die Figuren, wobei der jeweilige Hintergrund nicht wirklich wichtig ist. Das zeigt sich auch in der Tatsache, dass die eigentlichen Kriminalfälle wenig essentiell ausfallen, und der Detektiv ohne Umschweife direkt zur Lösung kommt, die teilweise alles andere als nahe liegend ist. Gerade aneinandergereiht ergibt sich ein gewisses Schema, welches zwar nicht die Lösung, aber doch den Weg dorthin, im Vornherein preisgibt. Man merkt, wie sehr die Hauptcharaktere Gruber ans Herz gewachsen sind, was einen Teil der Spannung nimmt, da ohnehin klar ist, dass niemandem von ihnen etwas passieren wird. Hier hätten ein paar zusätzliche Hindernisse, zusätzliche Begebenheiten oder Kehrtwenden sicherlich recht gut getan. Wer allerdings keine wirklich tiefschürfende Unterhaltung erwartet, bekommt mit Jakob Rubinstein ein kurzweiliges Buch mit einigen humorvollen Einlagen kredenzt, dessen Figuren eines gewissen Reizes nicht entbehren. „Pulp“ versteht es hier definitiv wieder einmal, das zu vollbringen, was bei anspruchsvoller Lektüre selten ist – zu unterhalten.
Nachdem er 1996 auf die Idee kam, Schriftsteller zu werden, begann Andreas Gruber mit dem Schreiben von Kurzgeschichten, die er hoffnungsvoll und naiv einfach an Verlage wie Heyne und Metzengerstein schickte, musste schnell feststellen, dass niemand sie abdrucken wollte. Nicht einmal einschlägige Fanzines oder Druckkostenzuschussverlage erklärten sich zum veröffentlichen bereit. Bei einem Schreibworkshop, den er ein Jahr später besuchte, wurde er dann auf seine größten Fehler hingewiesen, und versuchte diese fortan zu vermeiden, indem er unter anderem kurze und aussagekräftige Sätze verwendet. Außerdem begann er, Bücher über das Schreiben im Allgemeinen, und das Schreiben von Science Fiction im Besonderen, zu lesen. Fast schlagartig konnte er etliche Kurzgeschichten in Magazinen wie Alien Contact, Andromeda, Fantasia, Nocturno, Sagittarius, Solar-X sowie Anthologien bei Verlagen wie Aarachne, Abendstern, BeJot, Klaus Bielefeld, Blitz, Lacrima, Robert Richter, Ulmer Manuskripte und VirPriV unterbringen. Mit Der fünfte Erzengel (Edition Medusenblut) und Die letzte Fahrt der Enora Time (mittlerweile zweite Auflage im Shayol Verlag – oder als eBook, was der Autor eigentlich wegen der Sterilität des Mediums nicht besonders favorisiert) hatte es der am 28. August 1968 geborene Österreicher geschafft, eigene Bücher bei befreundeten Verlagen unterzubringen. Sogar sehr erfolgreich, wie sich zeigen sollte, denn beim Literaturwettbewerb des NÖ Donaufestivals 1999 zählte er zu den Preisträgern und 2000 wurden zwei seiner Erzählungen für den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert. Der fünfte Erzengel wurde für den deutschen Phantastik Preis 2001 nominiert, und belegte schlussendlich den vierten Platz. Die letzte Fahrt der Enora Time erzielte sogar den ersten Platz beim Deutschen Phantastik Preis 2002 in den Kategorien „Beste Kurzgeschichte“ wie auch „Beste Original-Kollektion“. Die Titelgebende Geschichte erzielte des Weiteren den zweiten Platz beim Deutschen Science Fiction Preis und den dritten beim Kurd-Laßwitz-Preis in der Kategorie Beste deutschsprachige SF-Kurzgeschichte. Die Ideen zu den fünf Geschichten über Jakob Rubinstein entstanden bereits 1999, wurden jedoch vor der Veröffentlichung komplett überarbeitet. Dabei hat der Autor allerdings drauf verzichtet, die fünf in sich abgeschlossenen Geschichten zu einem Roman zusammen zu schreiben, was aus seiner Sicht Betrug am Leser gewesen wäre, und hat sich hingegen damit begnügt, jeweils einen roten Faden und ein paar Anspielungen einzubauen. Das war sicher keine schlechte Idee, da unter anderem die Hauptperson als Jake Sullivan erdacht wurde, und ein jiddischer Detektiv in New York war. Einer Umgebung, aus welcher der Autor sicherlich nicht diese Plastizität hätte herausholen können, wie er es nun im Fall von Wien geschafft hat, wobei der verwendete österreichische Akzent keinesfalls störend wirkt. Ähnlich steht es auch mit dem für das erste Quartal 2004 geplanten Horrorthriller Der Judas-Schrein, der im Festa Verlag erscheinen wird, aus – auch seine Ideen sind bereits einige Jahre alt, werden jetzt allerdings noch einmal komplett überarbeitet. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit geht Gruber, der an der WU-Wien studierte, halbtags in einem mittelständischen Betrieb im Controlling einem geregelten Broterwerb nach, veröffentlicht Arbeiten über den kreativen Prozess des Schreibens und gibt des Weiteren noch Schreibkurse, die sich in Österreich reger Beliebtheit erfreuen.
Was bei der Gestaltung des Buches ins Auge fällt, ist das völlig falsche Erwartungen schürende, nach Heftroman aussehende Cover von Adrian Maleska, in dessen Zeichnung auch noch klare Fehler gegenüber der deutlich übergewichtigen und mit Waffenallergie gepeinigten Hauptfigur enthalten sind. Die auf dem Cover verpasste Kategorie der Phantastik Krimis trifft ebenfalls nicht tatsächlich zu, da nur wenige wirkliche phantastische Elemente Verwendung finden. Was hingegen äußerst positiv auffällt, ist die aufwendige Aufmachung als Hardcover mit Schutzumschlag zu einem mehr als fairen Preis. Außerdem entschädigen die von Alex Mastny angefertigten Innenillustrationen, die entsprechend Textpassagen angefertigt wurden. Das erstmals in Zusammenarbeit des Verlages mit einer internationalen Druckerei entstandene Buch kann somit schlussendlich jedem Freund schöner Hardcover empfohlen werden, solange er sich nicht am Cover stört.
Prädikat: Nicht unbedingt Phantastik, aber amüsante Personen in Krimi Kurzgeschichten !!!
© Heiko Henning
20.11.2003