Edgar
Allan Poes Phantastische Bibliothek 1
Blitz
Verlag GmbH
Hurster
Strasse 2
51570
Windeck
Paperback 8.2003
ISBN 3-89840-921-X
158
Seiten 990
Concetta ist ein wunderschönes
Mädchen, auch von ihrer Ausstrahlung so schön, dass ein Verehrer die Grenzen
der sie umgebenden Welt sprengt, um mit ihr zusammen zu sein... Carnevale a Venezia hat ebenfalls seinen ganz eigenen Reiz, wenn auch manchen
Besucher die eigenen Geister einholen... Das Ikarus-Prinzip lässt einen
Dieb in Geschehnisse aus alten Zeiten eintauchen, und deren Faszination voll
auskosten... Insel
der Gräber ist nicht nur das Heim des
eigenbrötlerischen Bestatterehepaares, denn nicht ohne Grund gibt es Gerüchte
über immer wieder auftauchende Leichen, welche den bei einer Beerdigung
helfenden Ministranten beunruhigen... Insomnia ist ein Preis, den ein
eigenwilliger und überall auf Feiern gern gesehener Künstler unbesehen in Kauf
nimmt, um ein Werk nach dem anderen zu fertigen... Der Schlafgänger nistet sich bei einer ärmlichen Familie ein, welche
aufgrund der herrschenden Rezession auf das Geld angewiesen ist, und
offensichtlich nicht merkt, was der verhüllte Fremde wirklich im Sinne hat... Wir alle sehen besser aus in
Schwarz & Weiß, denn in der Farbe liegt
die Lüge und Falschheit, weshalb eine verwirrte Kinderseele überall diesen von
ihm als Ideal angestrebten Zustand anstrebt... Tief unten sitzt
ein so genannter Caver, ein nach Höhlen suchender, der diesmal allerdings weder
das erhoffte Vermögen, noch die erhoffte Ruhe unter Tage findet, sondern den
blanken Schrecken eines ganz speziellen Infernos...
Die Geschichten des Buches
sind in zwei Zyklen aufgeteilt, wobei die Handlung der ersten vier in Venedig, und der anderen vier in Berlin angesiedelt
ist. Zwischen den Geschichten des jeweiligen Abschnittes gibt es teils
interessante Parallelen und Analogien, die gerade im Kontext sehr aufschlussreich
sind. Sowohl die Aufteilung, als auch deren Beziehungen zueinander, wie die
Anspielungen auf die jeweils vorangegangenen Begebenheiten, wirken äußerst
innovativ doch gleichzeitig dem Kernpunkt entsprechend. Inhaltlich macht
demgegenüber bereits die erste Geschichte klar, dass der Autor, entsprechend dem
Konzept der Reihe, keine Energie verschwendet, um neue und revolutionäre Ideen
an den Leser zu bringen. Stattdessen ist die Lage der erzählenden Hauptfigur
bereits von Anfang an erkennbar. Worauf es hier ankommt, ist die plastische
Atmosphäre, die den Leser immer tiefer in die schaurige Welt des Protagonisten
zieht. Der Carnevale
a Venezia wirkt hingegen wie ein wenig
packendes Verwirrspiel. Der Autor schafft es hierbei nicht richtig, reizvolle Umschreibungen
für seine Gedanken zu finden. Was allerdings zu faszinieren weiß, ist die gut
recherchierte schriftstellerische Tour durch Venedig. Ebenso gut recherchiert ist
auch die folgenden Erzählung, bei der vor allem die Schilderung des Palazzo
Dario ins Auge fällt. Für die gepflegte Gänsehaut wird mit der dem Ambiente
entsprechende schaurige Stimmung gesorgt, welche den Rezipienten zum Schneiden
dick umgibt. Nachdem er erfolgreich auf die falsche Fährte gelenkt hat, beweist
Markus K. Korb, dass sich Verbrechen auf keinen Fall lohnen. Ganz klar an
den Großmeister Howard
Philips Lovecraft angelehnt ist die Schauermär
Insel der
Gräber, bei der die „Großen Alten“ Pate für
die drohende Macht standen. Die Hommage kann dabei aus jedem Blickwinkel
überzeugen, da trotz des Bezugs weder die Spannung leidet, noch das Geschehen
vorhersehbar ist. Auch an dieser Stelle drängt sich der Eindruck auf, dass
diese ersten vier Episoden während eines ausschweifenden und beeindruckenden
Urlaubs in der Stadt, die langsam vom Wasser verschlungen wird, entstanden sind
– umso beeindruckender die Tatsache, dass die Informationen lediglich aus
Büchern gesammelt wurden. Der erste Beitrag der Berlin Serie beginnt
als lockere Wiedergabe der goldenen Zeiten der Hauptstadt, in welcher ein
wohlhabender Dandy scheinbar alle Vergnügen, nach denen es ihm gelüstet,
ausleben kann. Doch nach einem harten Break wird die Fassade niedergerissen und
der Blick auf die brutale Realität gezerrt, welche für die Verhältnisse des
Autors recht hart ausfallen. Doch auch auf diesem noch nicht so trittsicheren
Pfad kommt Korb nicht ins straucheln und trifft mit seinen Beschreibungen
den anfälligen Nerv des Schreckens. Der Schlafgänger schlägt derweil
wesentlich ruhigere Töne an, und bezieht seine Schauer aus einem uralten
Mythos, der Passenderweise in den wirtschaftlich dunklen Zeiten angesiedelt ist,
sowie aus den Bezügen und Zitaten aus Edgar Allan Poes faszinierender
Geschichte The
Tell-Tale Heart (Das verräterische Herz) von 1843. Das durch den Krieg gebeutelte
Deutschland bietet den perfekten Hintergrund, und liefert zudem noch einen
bedrückenden Grundton zur Geschichte. Bedingt durch die Vorlage ist das Finale
nicht wirklich überraschend, was den Genuss des Erzählten etwas schmälert. Seinen
beiden schriftstellerischen Kollegen Moni Angerhuber und Thomas Wagner ist indessen eine Story gewidmet, die eine skurrile Weltanschauung
glaubhaft zu vermitteln weiß. Inspiriert von We
all look better in Black & White, einem
Dark Industrial Stück das pst (Thomas Wagner), scheint hier der Bezug zu den beiden Berlinern am
unmittelbarsten. Doch auch im restlichen Teil des Zyklus um die
Landeshauptstadt zeigt sich anhand von einigem Insiderwissen, dass der
Austausch sehr rege gewesen, und entsprechend fruchtbar gewesen ist. So wie
auch bei der letzten und sicherlich auch besten Erzählung Tief unten, die ein Phänomen der Neuzeit als Aufhänger hat, für
welches Berlin wie prädestiniert ist. Die Caver, ständig nach neuen Höhlen
oder unterirdischen Bauten suchende Menschen, sind alleine schon äußerst
beachtenswert, doch durch den Kontext der Bedrohung der ganzen Menschheit ist
das Gelesene essentiell. Die Szenerie ist in der Neuzeit angesiedelt, welche
kongenial mit der grauen Vergangenheit verknüpft wird und mit einigen Plot Twists
die Spannung bis auf die Spitze treibt – auch hier zeigen sich ins Moderne
übertragene Motive von Lovecraft, die den Gesamteindruck angenehm abrunden. Gleiches gilt
auch für das Nachwort von Eddie M. Angerhuber, die neben
einigen treffenden Resümees zu den Geschichten des Bandes, sowie dem Autor
selbst, auch einige hochinteressante Hintergrundinformationen zum Besten gibt.
Markus K. Korb hat es geschafft –
nach Veröffentlichungen in Magazinen Screem und Twilightmag scheint der Weg in die Verlagswelt gesichert. Träume vom Abgrund eine Kurzgeschichtensammlung, die im kleinen aber feinen RoughArt Verlag erschien, war nur die konsequente Fortführung der
Herausgaben. Seine zweite Ambition zeigte er bei Jenseits des Hauses Usher, einer Sammlung von Geschichten deutscher Autoren, die sich
hierin mit dem Oeuvre von Edgar Allan Poe befassten. Diese
Anthologie erschien, unter der Federführung von Korb, im Programm des
Blitz Verlags, bei dem es offensichtlich gut lief, denn Jörg Kaegelmann, der Geschäftsführer der BLITZ GmbH, ist
anscheinend überzeugt vom Konzept. So ist Korb nun für „Edgar Allan Poes
Phantastische Bibliothek“ verantwortlich, welche dieses Buch eröffnet und mit Das Alptraum-Netzwerk von Thomas
Ligotti fortgesetzt wird, und auch in Zukunft
sowohl deutschen, als auch ausländischen Autoren Veröffentlichungsmöglichkeit
bieten. Dabei sollen immer Motive von Poe auf die eine oder andere
Weise mitschwingen, ohne zwingend in den Vordergrund zu treten.
Was
die Aufmachung des Buches angeht, so macht es bereits auf den ersten Blick
einen guten Eindruck, und das stimmungsvolle Cover von Mark Freier lädt zum
Schmökern ein. Auch die Innenillustrationen von Gustav Wölkl treffen
meist vollends den Ton des entsprechenden Textes. Die Papierqualität hat sich
gegenüber Jenseits
des Hauses Usher – und auch etlichen anderen
Büchern des Verlages – deutlich gebessert. Es bleibt zu hoffen, das dies nicht
nur bei den nächsten Bänden der Serie, sondern auch beim restlichen Programm
der Fall sein wird. Was nebenbei noch auffällt, ist die Tatsache, dass
Lektorat, Satz und Druck von einer sehr internationalen Crew durchgeführt
wurden, die allerdings recht gute Arbeit abgeliefert haben.
Prädikat: Die
Hoffnung der deutschen Phantastik !!!
© Heiko Henning
10.10.2003