Kontor
für Kunst & Literatur
Binzwangen
12
91598
Colmberg
http://scherm.de/nomadengott.htm
Taschenbuch 2003
ISBN 3-8330-0568-8
305
Seiten 1800
1500 Jahre vor Christus ist in Ägypten keine gute Zeit für das Volk der Hyksos, denn Pharao Ahmose lässt alle Fremden aus dem Land vertreiben. Selbst nach Theben, wo die Nachkommen der bereits vor Jahrhunderten eingewanderten
Hyksos leben, dringt die Kunde. Noch bevor die Gruppe um den Schreiber Seshmosis sich endgültig dazu durchringen kann, ihr geliebtes Land zu
verlassen, geschieht etwas völlig unfassbares. Der rundliche
Devotionalienhändler Raffim
findet beim Quälen eines Krokodils das Ankh
des Gottes Suchos, der gerade in diesem Tier verweilte, um dem Händler einen
Denkzettel zu verpassen. Doch als er das göttliche Kreuz an sich nimmt, entlädt
sich Energie, welche die halbe Stadt in Schutt und Asche legt. Damit sie nicht
noch mehr Hass schüren, machen sich die Hyksos, die sich von nun an zur
Sicherheit Tajarim („Tourist“) nennen, auf in das Land ihrer Väter – von
welchem sie eigentlich nicht wirklich etwas wissen. Damit das Ankh nicht in
noch falschere Hände kommt, beschließen die Götter, dass der Stiergott Apis
sich in die Herde der Karawane mischen soll. Außerdem bekommt das kleine Volk
noch von dem geheimnisvollen, und auf seine Weise recht mächtigen „Gott ohne
Namen“ Hilfe bei der Reise entlang des Nils. Diese ist auch bitter notwendig,
denn entgegen den Empfehlungen des Schreibers Seshmosis, der von
dem Gott auch noch zum Propheten ernannt wird, wollen die Tajarim lieber eine
Sightseeing Tour machen, als sichere Wege zu beschreiten, und dem Pharao aus
dem Weg zu gehen. Doch nicht nur von menschlicher Seite drohen Gefahren – auch
manche Dämonen und Götter führen böses im Schilde...
„Götter
sind schließlich auch nur Menschen!“ könnte man meinen, wenn man in die
köstliche Lektüre von Gerd
Scherm einsteigt. Ohne in Respektlosigkeit zu
verfallen, was ihm sicherlich die gottesfürchtigen Leser übel genommen hätten, und
flache Sprüche zeigt er eine völlig andere Seite der ägyptischen Götterwelt. Angelehnt
an Begebenheiten des alten Testaments erzählt Scherm eine vor
historischen Fakten nur so strotzende Geschichte. Um den bösen Fanatikern zu
entgehen, und mehr schriftstellerische Freiheit zu haben, nimmt sich der Autor
nicht Moses selbst sondern eine Art Analogie als Vorlage – nicht ohne
auch dem bekannten Propheten ein paar nette Zeilen zu widmen. Doch durch den
lockeren Stil, der voll von witzigen Dialogen und Situationskomik ist, wird
sich nicht nur der Liebhaber der ägyptischen Geschichte äußerst gut unterhalten
fühlen. Ein paar Anspielungen gehen sicherlich beim Leser ohne entsprechende Vorbildung
verloren, wobei der Autor sich offensichtlich sehr viel Mühe gibt, Begriffe
oder Begebenheiten zu erklären, doch wenn von depressiven und schizophrenen
Göttern die Rede ist, kann jeder lachen. Bezüge zur Jetztzeit sind dafür das
beste Beispiel, und zeigen eindrucksvoll, wie gut es der Autor versteht, diese
in die laufende Handlung einzubinden. Selbst offene Anspielungen wie der Barde El Vis aus Memphis
oder der Seher Nostr'tut-Amus treffen
ins Schwarze, und es gibt nur wenig Dinge zu vermelden, die in Klamauk
abgleiten. Der gekonnte Witz kommt zu Anfang allerdings geballter, als im
Verlauf des restlichen Romans, wo der Schreibstil routiniert und nicht mehr
ganz so spaßig ist. Leider wirkt das Ende etwas überstürzt, und lässt die
Geschichte recht offen enden, was schade ist, da man als Leser zumindest noch
gerne erfahren hätte, wie sich die Nomaden ihr neues Zuhause einleben. Hoffen
kann man, bei vernünftigen Verkaufszahlen, dass Gerd Scherm die für
eine Fortsetzung vorhandenen Ideen in die Tat umsetzt. Sehr hilfreich sind die
am Ende eingefügte Karte mit Übersicht zur Reise und ein Glossar der Personen,
Götter und Orte. Seit dem 15.8.2003 wird Der Nomadengott in der Nürnberger Zeitung und der Nordbayerischen Zeitung als täglicher Fortsetzungsroman abgedruckt.
Der 1950 in Fürth geborene Gerd Scherm schrieb bislang
hauptsächlich ernste und sachliche Texte, was Der Nomadengott angesichts
der Leichtigkeit bei den humorvollen Passagen umso erstaunlicher erscheinen
lässt. Doch seine Vielfältigkeit kann man auch an seinen Betätigungen als
Schriftsteller, Künstler, Ausstellungsorganisator und Kommunikationsdesigner
erkennen. Von Anfang der siebziger bis Anfang der achtziger Jahre war Scherm unter anderem als Kreativdirektor für Rosenthal tätig und
wirkte als Projekt-Assistent des Zero-Künstlers Professor Otto Piene (M.I.T., Cambridge, Mass., USA) für verschiedene
Umweltkunst-Projekte. Er organisierte die Selber Literaturtage, die Rosenthal
Künstlertage auf der Mathildenhöhe in Darmstadt und seit 1992 die Fürther Kunst-Begegnungen im Stadtmuseum, Schloss Burgfarrnbach. Seit
vielen Jahren forscht Gerd
Scherm intensiv auf den Gebieten Mythologie,
Mythenbildung, Symbolik und Ritualistik.
Prädikat: Ägyptische
Geschichte und Gottheiten einmal ganz anders – nicht nur für Historiker eine
wahre Freude !!!
© Heiko Henning
8.9.2003