Irrtum

 

    eine Kurzgeschichte

von

Michael Buttler

 

Erklärung des Whyowhy zu der Frage, warum er zu den Elfen ging:

Schon immer war ich ein Mensch, der auf seine Fragen konkrete Antworten suchte. Noch nie ließ ich bisher locker, hatte man meinen Wissensdurst mit einer lapidaren Antwort abtun wollen. Die Masse der Fragenden waren und sind allerdings mit solch einer Antwort zufrieden. Zumeist resultiert das aus der Feigheit, weiter nachzufragen, weil man sich dadurch eine gewisse Blöße gibt. Das ist falsch. Allenfalls ist der Antwortende entweder nicht in der Lage sein Wissen zu vermitteln, oder er will selbst nicht zugeben, daß er keine Antwort kennt und verstrickt sich in Ungereimtheiten. Zu sagen, es gäbe keine dummen Fragesteller wäre aber zu pauschal. So kommen wir auf das Ergebnis: Es gibt keine dummen Fragen! Und selbst wenn doch, so würde durch inkompetentes Verhalten der Fragende auch nicht schlauer werden. Was ich auf umständliche Weise versuchen will zu verdeutlichen ist ganz einfach: Also warum nicht Nachfragen!

In vielen Fällen wird sich herausstellen, daß der Gefragte über dies und  jenes auch nicht Bescheid weiß, sich aber mit der Floskel herausredet, daß es schließlich schon immer so sei. Das mag zum einen richtig sein, bleibt zum anderen aber dennoch unbefriedigend. Sicher, nicht jeder interessiert sich für alles, und das ist auch in Ordnung so. Doch sollte der Gefragte mit solchen Antworten gar nicht erst anfangen und lieber gleich sagen, daß er es nicht weiß, sonst trägt sich diese volksverdummende Weisheit immer weiter fort, bis sich irgendwann keiner mehr über irgendwas Gedanken macht und letztlich alles immer schon so ist. Verbesserungen werden somit bereits im Keim erstickt. Ein Beispiel:

"Warum haben alle Hütten Flachdächer?"

"Weil es schon immer so ist."    unbefriedigend und schlecht beantwortet

"Ich weiß es nicht."    zwar ebenfalls unbefriedigend aber immerhin gut gemeint.

Als Fragender ist es nun meine Aufgabe, mich damit nicht zufriedenzugeben und weiterzuforschen. Vielleicht fällt mir etwas Besseres ein.

 

Bericht des Jenesaispas, Freund von Whyowhy, über dessen Reise zu den Elfen:

Mein Freund Whyowhy, Sohn des Pferdehändlers Hoppgalopp, stellte jedem im Dorf  vor einiger Zeit die Frage, weshalb die Menschen die Elfen mieden, ja sogar ständig zu ihrem Gott beteten, die Elfen mögen ihr Reich nicht verlassen und gar zu den Menschen gehen. Wissen Sie, das ist ähnlich wie mit dem Aberglauben, man solle sich nicht öfter als 580mal im Jahr waschen, vor allem nicht in den Monaten des Frühlings, des Sommers, des Herbstes und des Winters. Jeder weiß, was dann passiert: Sollte derjenige das 130. Lebensjahr erreichen, so wird er irgendwann danach an seinem Todestag durch einen noch nicht festgelegten Umstand ums Leben kommen. Mal ehrlich, wer will das schon? Obwohl bisher noch niemand in unserem Dorf, nicht mal der Legende nach, dies in irgendeiner Weise tatsächlich miterlebt hat weiß doch jeder, daß dies schon immer so ist, nicht aber warum. Also, äh, Genaues weiß man also nicht, oder wie jetzt?

Es war nun schließlich so, daß man nicht ausschließen konnte, die Sache mit den Elfen ziehe ähnlich schwerwiegende Konsequenzen mit sich, wie die Sache mit dem Waschen. Whyowhy wollte der Sache nun also auf den Grund gehen, und sollte er nicht mehr wiederkommen können, so wäre sein Opfer nicht vergebens gewesen, und die anderen würden die Antwort auf die eine Frage..., äh..., auf die Frage halt eben äh... erhalten. Ja.

Er fragte mich also, ob ich nicht Anteil an seiner Reise haben wolle. Zunächst war ich schockiert, denn ich verspürte nicht die geringste Lust, mich gerade von Elfen waschen zu lassen, wenn ich das schon selbst nie tat, oder Schlimmeres und sagte es ihm in geeigneter Form. Das mit dem Aberglauben ließ ich weg, denn damals stand ich noch auf dem Standpunkt, daß nicht jeder von meinem Aberglauben wissen brauchte, obwohl ich noch heute mutmaße, daß einige etwas davon bemerkt hatten.

Meine Aufregung erwies sich als unbegründet. Whyowhy schleppte mich zu unserem Dorfmagier Der-mit-dem-Hexenbesen-tanzt, übrigens ein fähiger Meister seines Fachs, allerdings mit einer Identitätskrise ganz pikanter Art, denn Magier tanzen vielleicht manchmal mit Hexen, aber ganz bestimmt nicht mit Hexenbesen. Von ihm erhielten wir ein magisches Auge, daß der Magier auftragsgemäß für meinen Freund hergestellt hatte. Es bestand nur aus einer Art Glasauge, das stupide geradeaus starrte, und einem zu einem Moni-Tor umfunktionierten Spiegel, der die Monis durch das Tor schicken sollte. So oder ähnlich hatte man es mir erklärt. Kapiert habe ich es nie, aber auch nicht weiter nachgefragt. Ich vermute aber, Moni ist ein Fremdwort für Bilder, denn das übermittelt das Auge letztendlich auch.

Whyowhy  würde also zu den Elfen gehen, und ich würde alles über das Moni-Tor mitsehen können.

Die Vorbereitungen für die Reise waren schnell erledigt. Mein Freund nahm zwei gute Pferde mit, eins als Packpferd, ein zum Reiten. Seine Mutter – er war noch nicht verheiratet – packte ihm genügend Proviant ein: angepöbeltes Salzfleisch, Überreste vom Türicher Gemetzel, ein paal Flühlingslollen und eine Kasse-Rolle.

Nicht allen von uns im Dorf war Whyowhys Reise recht oder bloß egal. Es gab zwei, drei Nörgler, die Angst davor hatten, die Elfen könnten Whyowhys Besuch als Aufforderung verstehen das zu tun, von dem keiner wußte, was es war. Wir wurden schnell mit ihnen einig und irgendwann sahen sie auch ein, daß es zwecklos war zu schreien. Daß wir sie daraufhin bis zum Winter im Kohlenkeller vergaßen war nun wirklich nicht unsere Schuld.

Bald verabschiedete er sich bei seinen Eltern und auch bei mir und zog alleine los. Wir hatten uns bereits vorher abgesprochen, was ich zu tun hatte und begab mich deshalb auf den Nachhauseweg. In meiner Kammer setzte ich mich vor das Moni-Tor und beobachtete all das, was mir das magische Auge übermittelte.

Es zeigte mir die Landschaft, in der sich mein Freund gerade befand, und manchmal auch dessen Gesicht, wenn er das Auge ab und zu auf sich selbst richtete. Töne wurde keine übermittelt, so daß ich ihm seine Grußworte stets von den Lippen ablesen mußte.

In der zweiten Woche am dritten Tag erreichte er schließlich die Grenze. In dieser Zeit hatte ich fast ununterbrochen vor dem Moni-Tor gesessen, vor allem zum Schluß hin. Oft bin ich dabei eingeschlafen, denn wenn man nicht durch die manchmal derben Stöße der ungelenken Pferde der bei uns üblichen Hotte-Rasse wachgehalten wird, sondern in diesen Fällen nur das Bild ein wenig wackelt, können einem romantische Landschaftsbilder in dieser Ballung ganz schön anöden.

Nun überschritt er also die Grenze, zeigte mir durch das Auge erneut sein ernstes Gesicht und anschließend wieder die Gegend.

Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, da Hoppgalopp mitschauen wollte; also ging ich mit dem Moni-Tor zu ihm. Fortan beobachteten wir alles gemeinsam.

Am zweiten Tag traf er auf den ersten Elfen. Er war von heller Gestalt, hatte kalkweiße Haut, zotteliges Haar, einen leeren Blick, und er bewegte sich sehr ungelenk.

Natürlich versuchte sich Whyowhy mit dem Fremden zu verständigen. Er deutete auf sich (wie wir vermuten, weil wir das nicht sehen konnten), nannte seinen Namen (wie wir vermuten, weil wir das nicht hören konnten) und deutete dann auf den Elf (was wir wissen, denn es war eindeutig sein letztes Zeigefingerglied zu sehen gewesen). Der Elf nickte so eifrig, wie es mit seiner Unbeweglichkeit möglich war und winkte Whyowhy ihm zu folgen. Wenn der Elf sich schon nicht vorstellte, so schien er doch wenigstens gastfreundlich zu sein.

Whyowhy folgte dem Elf, und sie drangen immer weiter vor in ein sehr ungewöhnliches Land. Die satten Wiesen und Haine wurden allmählich abgelöst von unwegsamem Gestein. Hie und da ragten auch kleinere Felsen aus der Erde. Whyowhys Pferd bekam Schwierigkeiten beim Schritt. Aber auch der Elf stakte steif wie ein Stock über die Steine und kippte mehr als einmal in eine gefährliche Schräglage, die ihn scheinbar allerdings nicht zu schaffen machte. Sicher wie ein Schlafwandler ging er einfach weiter und erlangte irgendwann wieder das Gleichgewicht, das er eigentlich nie so richtig verloren hatte.

In einer Entfernung von etwa zwei Tagesmärschen erhoben sich kahle Berge. Der Elf deutete auf sie und gab so zu verstehen, daß sie das Ziel seien.

Die ganze Zeit lief der Elf wie für sich alleine vorne weg. Auch die ständigen Versuche meines Freundes, mit dem Fremden Kommunikation zu betreiben, scheiterten. Ungewöhnlich war ebenfalls, daß er in der ganzen Zeit nicht einmal Nahrung zu sich nahm. Wir dachten uns alle nichts dabei, denn schließlich handelt es sich bei den Elfen um ein fremdes Volk.

Nach zweieinhalb Tagen erreichten sie den ersten Anstieg. Der Elf führte meinen Freund durch einen schmalen Paß, und nach einem weiteren Tag erreichten sie die bewohnten Höhlen. Wir waren überrascht über die absolut primitive Lebensweise der Elfen. Nirgends war auch nur eine Spur von Luxus zu sehen, geschweige denn Gerätschaften oder sonst irgendwas. Sie lebten einfach nur in den kahlen nackten Höhlen. Ich fragte mich zum Beispiel, woher sie ihre Kleidung bekamen. Handelten sie etwa? Aber mit was?

Ein seltsames Völkchen trat meinem Freund nun zur Begrüßung entgegen. Es waren Männer, Frauen und auch Kinder aller Altersklassen. Hierin unterschieden sie sich nicht von uns, doch einige von ihnen waren nackt, während andere teils äußerst schäbig oder auch gar edel gekleidet waren. Dies mochte ihre Art der Hierarchiedemonstration sein, dennoch war es für uns sehr ungewöhnlich. Unser Führer schien immerhin der mittleren Schicht anzugehören. Deshalb war uns auch nichts an seiner Kleidung aufgefallen. Und alle liefen sie wie versteinerte Störche.

Ohne großartiges Begrüßungszeremoniell führte Whyowhys Begleiter meinen Freund durch die Menge bis zu einem kleinen scheinbar öffentlichen Platz. Alle folgten ihnen.

Da war also doch eine Art Möbelstück. Es handelte sich hierbei um eine einem Altar ähnliche Konstruktion, die völlig aus Stein bestand. Zwei hüfthohe und doppelt so lange Felsen bildeten die Beine. Darauf lag ein ausgehöhlter Stein, so lang wie ein ausgewachsener Mensch und etwa zwei Ellen tief.

Nun ging plötzlich alles sehr schnell. Von hinten umklammerte jemand meinen Freund, der abgesessen war, so am Hals, daß er sich nicht dagegen wehren konnte. Das magische Auge fiel ihm dabei aus der Hand. Es kümmerte sich keiner darum. Fortan konnten wir nur noch in der Ameisenperspektive sehen. Immerhin war das Auge so gefallen, daß die Richtung noch ungefähr stimmte, und wir nicht auf den Boden schauten. Wir hätten sonst nie genau erfahren, was mit Whyowhy geschah. Andererseits hätten wir es uns nach dem Angriff auf ihn denken können, und uns wären die grausamen Einzelheiten erspart geblieben.

Zunächst zog ein nackter Elf meinem Freund die Kleider aus und sich selbst an. Soviel zur Kleiderfrage. Nun wurde Whyowhy von zwei weiteren Elfen gepackt und verschnürt. Aus unserem Blickwinkel mußten wir, sein bester Freund und sein Vater, völlig hilflos – was das Schlimmste an der ganzen Sache war – mit ansehen, wie man ihm aber keine Gelegenheit für ein erfolgreiches Erwehren ließ. Während Hoppgalopp tobend und ab und zu einen Blick in das Moni-Tor werfend durch das Zimmer lief, starrte ich nur vom Entsetzen gebannt auf die nun folgenden Szenen.

Sie legten meinen geliebten Freund in diesen Altar. Wie auf ein Zeichen stürzten die Elfen schließlich alle auf ihn zu, die meisten mit einem Messer in der Hand. Plötzlich wimmelte es vor dem Altar nur so von wilden ungelenken Bewegungen, die man kaum noch einer einzelnen Handlung zuordnen konnte. Die bedingt durch die Übertragung herrschende schreckliche Stille sorgte dafür, daß wir wenigstens Whyowhys Schreie nicht hören konnten. Nach einiger Zeit drängten sich die ersten Elfen wieder aus dem Gewühl, mit Blut beschmiert und ein Stück rohes Fleisch in den Händen, wovon sie hastig abbissen und kauten. Ich sah alles, bis zum Ende. Hoppgalopp war schon lange bevor das Pferd an der Reihe war in Ohnmacht gefallen.

Das magische Auge wurde von den Elfen auch später nicht beachtet und liegt seither im Staub. Was genau aus Whyowhy geworden ist, das hüten sein Vater und ich als Geheimnis. Wenn nach ihm gefragt wird, so wissen wir es einfach nicht. Er hat schließlich – so unsere Version – das magische Auge verloren und das Moni-Tor somit nutzlos gemacht. Darum vernichteten wir diesen auch gleich, als sicher anzunehmen war, er würde das Auge nicht mehr finden.

Vor einem Besuch der Elfen hatten wir keine Angst. Schon mehr als einmal hatte sich augenscheinlich ein Reisender in ihre Gewalt begeben, noch nie aber in all den Generationen ist ein Überfall der Elfen direkt gegen die Menschen bekannt geworden. So empfanden wir es richtiger, keine unnötige Panik zu verursachen. Dennoch erwischte ich mich häufig dabei, vor irgendwas auf der Hut zu sein; mein Unterbewußtsein mochte damit die Elfen meinen.

In einer noch fernen Zeit, die vielleicht nie kommen wird, und ich das entsetzliche Schicksal meines Freundes für mich akzeptiert habe, die Schreckensmonis aus dem Moni-Tor vergessen kann, werde ich von hier fort ziehen. Vielleicht werde ich auch meinen Namen ändern. Jesais gefällt mir gut. Im Osten soll es eine Gegend geben, wo die Menschen im Einklang mit sogenannten Zombies leben. Das wäre eine neue Erfahrung, die mich dann vielleicht interessieren könnte.

 

E N D E