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Tribute to www.darwinawards.com
Die
vom Mondlicht gebleichten Knochenwolken zogen stürmisch über den Nachthimmel
und tauchten die seltsame Szenerie auf dem kleinen Dorffriedhof in eine
gespenstische Abfolge von Hell und Dunkel, so als könnten sie sich nicht
entscheiden, das, was dort unten zu sehen war, vor den Augen der Welt zu
verbergen oder zu zeigen.
Auf
dem mit windschiefen Kreuzen gespickten Gottesacker saßen drei alte Männer auf
den Grasnaben und ließen ihre Beine in ein frisch ausgehobenes Grab baumeln.
Sie steckten in würdevollen schwarzen Anzügen, hatten die Hände wie zum Gebet
gefaltet und den Kopf gesenkt. Sie blickten in die Schwärze unter ihnen, wo
etwas aus der Tiefe metallisch im wechselnden Mondlicht aufglänzte. In den
Gesichtern spiegelte sich tiefe Trauer, die bis zur Verbissenheit ging. Ihre
Haltung wäre eine vollständig würdevolle gewesen, würden die alten Männer nicht
kleine bunte Partyhüte tragen, die sie mit Gummibändern unter ihrem Kinn festgeschnallt
hatten.
Es
waren die letzten drei Ritter vom Orden des lachenden Todes, welche am heutigen
Abend einen weiteren Verstorbenen aus ihren Reihen zu Grabe getragen hatten.
Die Mitglieder des Ordens hatten sich in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg
in russischer Gefangenschaft kennen gelernt. Sie hatten ihre Lebenserfahrungen
ausgetauscht und waren auf diese Weise zu der Theorie gekommen, dass der Tod an
sich einen makabren Humor besitze, den er immer wieder anhand kurioser
Todesfällen beweise. Aufgrund dieser Erkenntnis war der Orden des lachenden
Todes gegründet worden. Sie hatten sich geschworen, dass sie dem bitteren Ende
lachend entgegen gehen würden, wenn ihre Lebenszeit abgelaufen war. Auf den
Beerdigungen durfte deshalb auch kein Trauermarsch gespielt werden, sondern es
war Pflicht eine Jazzcombo zu engagieren, welche zum Tanz aufspielte. Verboten
war es weiterhin, ein verbittertes oder trauriges Gesicht zu machen. Darum
wurde auch kein Bibeltext gelesen, nein, ein jedes Mitglied hatte dafür zu
sorgen, dass auf seiner Beerdigung gelacht wurde. Diese Aufgabe löste jeder auf
seine Weise: der eine sammelte Witze für seinen letzten Gang, der andere ließ
Komödianten auftreten und wiederum ein anderer ließ aus zwei Helikoptern
Lachpulver auf die „Trauergemeinde“ herab regnen. Aufgrund dieser
„Vorsichtsmaßnahmen“ war bisher jede Beerdigung ein voller Erfolg im Sinne des
Ordensmottos gewesen und der Tod schien grollend von dannen zu ziehen, da
niemand auch nur eine Spur von Trauer und Entsetzen angesichts seiner Gegenwart
zeigte.
Doch
nun war die Lage etwas anders. Die letzten drei Überlebenden des Ordens
blickten fast schüchtern einander an, wirkten verstohlen und gehemmt, bis
endlich der erste das Schweigen brach:
„Freunde, so kann das nicht weitergehen!“
Der
kleinste der Männer, dessen Bauch sich sichtbar über die Anzugshose wölbte, sah
die anderen an. Sein wie ein Halbmond geformtes Kinn wanderte hin und her. Ihm
gegenüber saß der Lange. Er drehte seine mehrfach gebrochene und daher wie ein
windschiefer Erker aus dem Gesicht hervortretende Nase zum Dicken hin. Aus
blutunterlaufenen Augen, die in scharfem Kontrast zu seinen Tränensäcken
standen, sah er sein Gegenüber an.
„Wieso?“
„Weil
wir uns nicht so hängenlassen sollten. Ernst hätte das sicher nicht gewollt!“
„Da
hast du Recht“, warf der letzte ein, ein Mann von bärenhafter Statur mit groben
Händen, „Wir sind die letzten des Ordens und müssen dessen Motto
aufrechterhalten: Gaudeamus mortis. Wir freuen uns des Todes, so steht es in
der Satzung – und das müssen wir erfüllen!“
„Wie?“,
fragte der Mann mit der Erkernase.
„Na
irgendwie, Heinrich. Erzähl doch mal einen Witz!“ meinte der Dicke.
Erkernase
Heinrich schnaufte tief in seinen schmalen Brustkorb, dann begann er:
„Also:
da klopft es an der Himmelstür und der Papst steht davor...“
Aber
der Hüne winkte mit Prankenhänden ab.
„Oh
nein, kennen wir schon. Ist schon alt. Hast du keinen anderen auf Lager?“
Heinrich
schüttelte bedauernd den Kopf.
„Tut
mir leid, Rudolf. Im Moment nicht.“
„Tja“,
sagte der Angesprochene, „dann erzähl doch du einen, Karl!“
Der
dicke Kleine seufzte.
„Nun,
was ist Grün und fliegt rückwärts...“
„Kenn
ich, kenn ich! Musst nicht weitererzählen!“ jubelte Heinrich.
Karl
grummelte und rieb seinen Bauch.
„Also
gut, okay, hab’s kapiert. Rudolf ist dran!“
Der
angesprochene Hüne riss entsetzt die Augen auf.
„Das
kann ich nicht!“
„Wieso?“
Karl schaute verständnislos.
„Weil...ich
keinen Witz kenne, der jetzt passen würde. Außerdem kann ich mir eh keine
derartigen Dinge merken. Ist einfach so, t’schuldigung.“
Und er
versank in sich wie ein schmelzender Schneemann im Frühling.
Das
Gesicht des dicken Karl erstrahlte auf einmal: „Freunde, ich hab’s!“
Die
anderen wandten sich ihm neugierig zu.
Nachdem
Karl sicher war, dass alle Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war, befeuchtete er
die Lippen und begann zu sprechen.
„Wir
sollten uns noch einmal an all die großen Taten erinnern, welche unsere
Mitglieder im Angesicht des Todes geleistet haben!“
„Eine
gute Idee!“ fand Heinrich und sah schon eine Spur belustigt aus.
Auch
Rudolf erwachte aus seiner Lethargie und rieb die Hände aneinander.
„Ja,
spitze. Ich bin dabei!“
Karl
lachte von einem Ohr zum andern.
„Erinnert
ihr euch noch an Friedrich?“
Begeistertes
Kopfnicken.
„Er
war unser ordnungswütiger Bibliothekar. Immer in Eile, immer bestrebt, die
Buchbestände des Ordens zu sortieren und auf den neuesten Stand zu bringen.
Seine ständige Suche nach noch effizienteren Methoden des Klassifizierens und
Katalogisieren hatte uns schon an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht:
Fand man in dieser Woche ein gesuchtes Buch unter der Signatur „M 23 a14 h1“,
so war es sicherlich in der nächsten Woche unter dem Kürzel „HH / 10 Zec3“
irgendwo im Bestand versteckt. Ich glaube, tief in sich drin dachte Friedrich,
wenn er die beste Ordnungsmethode finden würde, dann offenbare sich ihm dadurch
auch das Welträtsel, warum das Universum stets nach Unordnung strebt. Und er
schien kurz davor, dieses minoische Labyrinth durchschritten zu haben, als es
eines Nachts in der Bibliothek geschah: beim Einordnen eines neuen Buches fiel
er von der Leiter, brach sich das Genick und starb. Am nächsten Morgen fanden
ihn die Putzfrauen. Auf seiner Brust hielt er das letzte Buch fest, dass er
einordnen hatte wollen. Dessen Titel war: „Theorie des Zufalls. Oder: Das Chaos
als neue Ordnung?“
Die
Männer glucksten leise vor sich hin.
„Jaja,
der Friedrich. Ein überzeugter Ordnungswahnsinniger – bis zum Schluss.“
Karl
kicherte etwas lauter los, die anderen fielen mit ein.
„Aber
wo wir gerade bei den abwesenden Freunden sind. Denkt mal an Wilhelm und seine
Pistole. Er war eine Zeit lang nachts von einem Unbekannten angerufen worden,
der nichts außer ein leises Atmen vernehmen ließ. Da hat sich Wilhelm eine
Waffe besorgt und neben das Telefon gelegt, weil er der Meinung war, dass bald
ein Einbruch oder sogar Schlimmeres bevorstand. Wie recht er haben sollte!
Wisst ihr die Geschichte nicht mehr? Eines Nachts muss es wieder geklingelt
haben, Wilhelm verwechselte Hörer und Waffe, zielte mit dem Hörer ins Dunkel
und legte sich die Mündung an die Schläfe. Da löste sich ein Schuss – er war
sofort tot, hahaha!“
Schon
bei den letzten Worten hatte Rudolf begonnen seine Schultern in kurzen
Intervallen zucken zu lassen. Das war bei ihm das Vorzeichen eines Lachanfalls.
Die anderen Ritter des Ordens vom lachenden Tod konnten ihre Stimmung ebenfalls
nicht verbergen und kicherten immer hemmungsloser. Das Geräusch klang
deplaziert an diesem Ort der Stille.
Karl
wischte sich über die Nase.
„Ich
weiß noch einen Fall: Max. Der wollte beim Reinigen seiner Schrotflinte mit
einem Feuerzeug den Lauf ausleuchten, um zu sehen, ob er sauber sei. Dabei
entzündete sich ein Rest von Pulver und der ganze Schießprügel ist explodiert!“
Diesmal
glucksten alle laut auf. Und als das Lachen verklungen war, meinte Heinrich:
„Ja
genau – und Fritz: Der blieb auf der Fahrt nach Dresden auf der Landstraße
stehen. Er wusste nicht was mit dem Auto sein sollte und hat den Tankdeckel
geöffnet, weil er vermutete, dass kein Benzin mehr drin war. Doch er konnte
nichts sehen, weil es keine Straßenbeleuchtung gab. Da nahm auch er ein
Benzinfeuerzeug.....hahahahahaha!“
Laut
scholl das Lachen über den Platz. Die Eulen, welche im Turm der
Friedhofskapelle auf den Glocken saßen, ruckten ihre Köpfe in Richtung des
ungewohnten Lärms und riefen ihren Missmut ob der Störung hinaus in die Nacht.
Karl
hielt sich den Bauch vor Lachen. Seine Augen quollen über vor Tränen, welche
sich mit dem Wasser auf seinen Wangen vermischten, denn es hatte begonnen zu
regnen und der Donner grollte über die Hügel.
„Wir
haben Ernst vergessen! Er liegt hier unter uns in seinem Metallsarg, eingedost
in eine alte Ritterrüstung. Sein Faible für Sicherheit hat ihn hierher
gebracht. Als Manager einer Glasherstellerfirma wollte er im 24. Stock eines
Hochhauses beweisen, wie sicher das Firmenprodukt ist und warf sich mit aller
Wucht gegen das Fenster. Der Klügere hat nachgegeben....hahahahahahaa!“
Sie
kamen aus dem Lachen nicht mehr heraus, klopften sich immer wieder auf die
Schenkel und warfen die Köpfe in den Nacken. Sie lachten Tränen und das
Bauchfell bereitete ihnen schon furchtbare Schmerzen, als plötzlich ein greller
Blitz herniederfuhr, in den Metallsarg einschlug und die letzten drei Ritter
des Ordens vom lachenden Tod verdampfte.
Der finale
Beweis der Richtigkeit der Ordenstheorie....
© Markus K. Korb
Begonnen: 17.12.00 00.17 Uhr
Beendet: 17.12.00 1.38 Uhr