Schramm

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Originaltitel: Schramm Alternativtitel: Jörg Buttgereit´s Schramm
Darsteller: Florian Koerner von Gustorf (Lothar Schramm), Monika M. (Marianne), Micha Brendel (Der Gläubige), Carolina Harnisch (Die Gläubige), Xaver Schwarzenberger (Älterer Herr 1), Gerd Horvath (Älterer Herr 2), Michael Brynintrup (Jesus), Franz Rodenkirchen (Zahnarzt), Anne Presting (Zahnärztin), Eddi Zacharias (Liebhaber), Michael Romahn (Selbstmörder), Volker Hauptvogel (Kellner)
Produktionsfirma: Jelenski & Buttgereit
Produktion: Manfred O. Jelinski
Regie: Jörg Buttgereit
Drehbuch: Jörg Buttgereit, Manfred O. Jelinski
Kamera: Manfred O. Jelinski
Musik: Max Müller, Gundula Schmitz, Mutter
Schnitt: Manfred O. Jelinski, Jörg Buttgereit, Franz Rodenkirchen
Spezialeffekte: Michael Romahn
Verleih: Jelenski & Buttgereit
Erstaufführung: 1993, VOX 14.8.1999 J & B 29.6.2005 Deutschland 1993
62:52 Minuten (+ Zusatzmaterial: Making of Schramm 35:27; Bildergalerie 11:38; Schramm: The Clip 5:40; Trailer: HardKill Version 0:52; Kurzfilm: Cannibal Girl 2:46; Making of MUTTER Video 4:47; Schramm boxt 7:24; Interview von Alexander Kluge 40:18; The Buttgereit Background 5 Seiten; Jörg Buttgereit Werkübersicht 7 Seiten; Trailer: Nekromantik 1:52, Nekromantik 2 1:02, Der Todesking 2:15, Schramm 1:27, Corpsefucking Art 0:43, Hot Love 1:08; CD Audio: Original Soundtrack 67:45 26 Tracks) 16 Seiten Booklet 8 Kapitel
Fullscreen 4:3
Deutsch Dolby Digital 2.0, Deutsch Dolby Digital 1.0, Spanisch Dolby Digital 1.0, Audiokommentar Jörg Buttgereit und Franz Rodenkirchen Englisch Dolby Digital 1.0, Audiokommentar Monika M. und Florian Körner v. Gustorf Englisch Dolby Digital 1.0; Untertitel: englisch, italienisch
Ländercode: 0 DVD-5/CD Audio FSK: Strafrechtlich unbedenklich


Inhalt:
Ein Marathonlauf – eine Zeitungsschlagzeile über den Tod des Lippenstiftmörders – ein Mann liegt regungslos in einer Pfütze aus weißer Farbe – er blutet am Kopf – die Welt dreht sich um ihn – Schnitt. Lothar Schramm ist ein unscheinbarer Nachbar der Bewohner eines Berliner Altbaus, der sein Geld mit Taxi fahren verdient. Die einzige Beziehung, die er pflegt, ist die zu seiner direkten Nachbarin Marianne, die in den eigenen vier Wänden als Prostituierte arbeitet. Doch spätestens als Verbreiter von Gottes Wort an der Tür klopfen, zeigt sich das andere Gesicht des alleine lebenden Mannes – nach dem Hereinbitten schlachtet er Mann und Frau auf blutige Weise ab. Doch damit nicht genug, denn er drapiert ihre toten Körper auch noch in diversen sexuellen Stellungen und fotografiert dies. Seine eigene Sexualität besteht derweil aus einem Gummitorso und dem Gestöhne seiner Nachbarin, während sie Besuch von ihren Freiern hat…

Meinung:
Schramm, der von Juli bis September 1992 in Berlin gedreht wurde, stellt den vorläufig letzten Full Feature Film von dem deutschen Ausnahmetalent Jörg Buttgereit dar. Hiermit entfernt er sich noch weiter von den beiden Nekromantik Teilen – die ihn in Deutschland berühmt und berüchtigt machten – als es bereits im Todesking der Fall war. Hier wird das Leben eines Serienkillers gezeigt – aber ganz anders, als man es von Massenkost wie beispielsweise Schweigen der Lämmer, Sieben oder dem für Hollywood Verhältnisse schon recht abgehobenen The Cell gewohnt ist. Hier wird sich wirklich in den Kopf des kranken Menschen hineinversetzt und seine wirren Gedanken nachvollzogen. Das zeigt sich auch sehr deutlich durch die ständigen zeitlichen Sprünge und wird zudem noch den Wechsel zwischen Realität und Wahnvorstellungen veranschaulicht. Das erschwert dem Rezipienten den Einstieg in die Handlung auch deutlich – die wahre Abfolge und realen Geschehnisse müssen erst im Kopf angeordnet werden, um eine logisch nachvollziehbare Geschichte zu ergeben, ein ständiger Wechsel zwischen real und surreal. Dabei ist nicht zu jeder Zeit erkennbar, dass es sich um einen weiteren Bruch handelt, weshalb mehrfacher Konsum für volles Verständnis sicherlich ratsam ist. Durch die Sprünge gibt es auch einige Szenen die mehrfach enthalten sind – doch durch die vorhergehenden Bilder und teilweise auch offensichtlichen Halluzinationen ergeben sich dabei sehr konträre Eindrücke und Empfindungen der Szenen an sich und im Kontext. Der Zuschauer begleitet den Protagonisten durch seinen Alltag, jedoch nicht wie man es gewohnt ist, bei den üblichen Dingen wie Arbeiten – hier muss kein zusätzlicher Realitätsbezug hergestellt werden. Die Charaktere wirken bereits durch Inszenierung und Acting überzeugend genug – es wird gezeigt, wie Schramm seine Freizeit verbringt: unter anderem mit Morden. Dabei erscheint er nicht als der übliche geniale Schlächter, sondern vielmehr wie ein durch Halluzinationen und Ängste (Kastration, unerwiderte Liebe) gepeinigter normaler Mensch, der seinen Aggressionen im Gegensatz zu den meisten anderen ungefiltert freien Lauf lässt. Man ist eher geneigt, Mitleid zu empfinden, als Abscheu gegenüber seiner Person zu zeigen, die äußerst glaubhaft von Buttgereit berauschend in Szene gesetzt wurde. Das Leben wird aus der Sicht des Kranken erzählt, der wie selbstverständlich seine Gedanken mit allen Psychosen offenbart. Die Inszenierung arbeitet dabei mit der Devise „Lass Bilder sprechen“ und hält sich mit den Dialogen zugunsten von sorgsam arrangierten Bilderwelten zurück. Dabei wird mit sehr vielen Stilelementen und Möglichkeiten des Mediums gearbeitet, was dem Gesehenen insgesamt einen experimentellen Touch verleiht, der kongenial zum Thema passt. Ein weiterer Punkt, der natürlich bei Jörg Buttgereit nicht fehlen darf, sind die – selbstredend blutigen – für eine Low Budget Produktion erstaunlich gut gemachten, Effekte. Allerdings werden diese – entgegen der üblichen Vorurteile – sehr sparsam, und zu keiner Zeit zum Selbstzweck eingesetzt, wie es bei großen Produktionen derweil üblich ist. Dafür sind die Darstellungen sehr explizit, was sich bei diesem Film nicht nur auf Effekte beschränkt – hier gibt es auch nackte Haut zu sehen. Bei den weiblichen Darstellern beschränkt sich das meist auf die obere Körperpartie, doch Florian Koerner von Gustorf muss mit vollem „Körpereinsatz“ ran. Doch auch hier zeigt sich, wie notwendig die Elemente sind, um das Geschehen und die Empfindungen zu verdeutlichen. Buttgereit versteht es virtuos, alle Stilelemente wie Drama, Horror und sexuelle Bestandteile zu einem mitreißenden Ganzen zusammenzufügen. Die äußerst innovative Kameraführung sorgt dabei für wirklich beeindruckende Momente und eine fesselnde Atmosphäre. Zu dieser trägt auch nicht unwesentlich der geniale Soundtrack bei, der sehr stimmungsvoll und adäquat inszeniert wurde.

Ausstattung:
Da auf 16mm gedreht wurde, ist die Bildqualität meistens etwas grobkörnig und wirkt partiell verrauscht – weshalb wohl auch eine recht niedrige Datenrate und eine DVD-5 Verwendung fand. Da das Bildmaterial absichtlich gewählt wurde, und zum Teil auch das Körnige als Stilelement für die Realitätsnähe Verwendung findet, ist die diesbezügliche Umsetzung nur konsequent. Auch das 4:3 Format untermauert diesen Eindruck, auch wenn sich so mancher sicherlich eine Umsetzung auf 16:9 gewünscht hätte. Es wäre zum einen sicherlich durch das Material nicht möglich gewesen, und zum anderen hätte es auch die Art und Weise verändert, wie das Gesehene aufgenommen wird. Was allerdings wirklich stört sind die nicht gerade seltenen analogen Defekte, die durch Nachbearbeitung sicherlich hätten reduziert werden können.
Der Ton stammt ebenfalls klar aus keiner großen Produktion, aber trotzdem weiß der Upmix vom Mono Master auf Dolby Digital 2.0 zu überzeugen. Neben dieser neuen Spur ist außerdem noch das Original als Dolby Digital 1.0 vorhanden, die vielleicht sogar stimmiger wirkt – optional können zu jeder Zeit Untertitel in Englisch und Italienisch zugeschaltet werden. Des weiteren gibt es noch eine spanische Spur, die nicht hundertprozentig passende Sprecher hat und nicht zu jeder Sekunde synchron zu den Lippenbewegungen ist, was in Spanien allerdings bedingt durch die Sprache nicht selten der Fall ist. Interessant und unterhaltsam wird es beim Audiokommentar von Jörg Buttgereit und Franz Rodenkirchen, der jedoch leider zugunsten der Internationalität in Englisch realisiert wurde. Ähnlich ist es auch mit den Darstellern Monika M. und Florian Körner v. Gustorf, die bei ihrem Audiokommentar an mancher Stelle sogar zeigen, dass sie sich durchaus bewusst sind, kein perfektes Englisch zu sprechen.
Diese Special European 2-Disc Edition in sehr hochwertigem Amaray Doppel DVD Case erweckt zwar durch den Titel zunächst den Eindruck, es handle sich um zwei DVDs (wie auf dem Markt momentan so Usus), doch die zweite Scheibe ist eine Audio CD. Die Soundtrack CD ist sehr lohnenswert, da das eindrucksvolle Main Theme separat zum Film genossen werden kann – massentauglich ist der Score, wie auch der Film, natürlich nicht, aber für eine psychedelische Party ist sie sicherlich die beste Wahl. Die DVD ist lediglich eine einlagige DVD-5 mit nicht anamorphem Menü. Das Zusatzmaterial ist trotz des wenigen Platzes erstaunlich reichlich vorhanden – angefangen beim über eine halbe Stunde langen Making of Schramm. Dieses hat zwar nicht ausblendbare englische Untertitel, die deutliche zeigen, für welchen Markt es produziert wurde, ist aber nichtsdestotrotz äußerst essentiell für jeden Fan und Interessierten. So zeigt sich beispielsweise in einem Dialog, wie die Beteiligten über das Thema Sex im Film denken – Florian Koerner von Gustorf: „Wenn das Glied erigiert gewesen wäre…“ Jörg Buttgereit: „…wäre der Film ab 18 gewesen, jetzt ist er ab 18…“ Die Bildergalerie wird netterweise sogar mit Erklärungen von Jörg Buttgereit angereichert, was das Sehen deutlich angenehmer und informativer macht. Schramm: The Clip verdeutlicht in einer musikalischen Version einige Intentionen von Schramm, die so herausgelöst nett zu konsumieren sind. Trailer: HardKill Version kann durchaus als Industrial Music Version eines Trailers angesehen werden, und würde insofern sicherlich einige Zuschauer mit entsprechendem Musikgeschmack zum Anschauen bewegen. Der Kurzfilm: Cannibal Girl ist ein frühes Werk des Regisseurs und sollte auch als solches behandelt werden – mit verstörender Musik und Erklärungen von Buttgereit unterlegt gibt es eine etwas eigenwillige Nachvertonung und ein Würstchen als Penis. Making of MUTTER Video zeigt sowohl einen Blick hinter die Kulissen, als auch auf das Video Die Neue Zeit der Band MUTTER selbst – hier sieht man den Regisseur bei der Ausübung eines seiner weiteren Talente: Musikvideoclip Dreh. Schramm boxt verdeutlicht, dass die Crew das Ganze wirklich nicht bierernst genommen hat, und auch schon mal eine Boxfight auf unterhaltsame Art und Weise vertont und verfilmt. Das Interview von Alexander Kluge ist leider nur Audio in Mono mit Standbild (welches ungefähr alle zehn Minuten wechselt), ist allerdings sehr lohnenswert, weil es mal etwas anders geführt ist, als in der Filmbranche üblich. The Buttgereit Background von Linnie Blake verdeutlicht in einem englischen Text, wie wenig der Prophet im eigenen Lande wert ist – und wie viel beispielsweise in den USA. Die Jörg Buttgereit Werkübersicht ist sehr informativ, aber es fehlt beispielsweise das Hörspiel Video Nasty, an dem das Multitalent auch beteiligt war. Unterhaltsam sind schlussendlich dann die Trailer: Nekromantik (mit skurriler Musik), Nekromantik 2 (mit kleinem Schocker am Ende), Der Todesking (stark Interesse weckend), Schramm (verstörend wie der Film), Corpsefucking Art (informativ) und Hot Love (ja…). Das sechzehnseitige Booklet beinhaltet außerdem noch reichlich Infos wie beispielsweise den Beschluss, das Durchsuchungsprotokoll und die abschließende Einstellung des Verfahrens einer Polizeiaktion gegen Manfred Ottwald Jelinski. The Making of a Serial Killer by David Kerekes füllt den Rest des kleinen Heftes – ein englisches Making of von dem Autor, der sich in dem Buch Sex Murder Art intensiv mit allen vier Filmen des Autors befasste. Wie auch die anderen bisherigen Veröffentlichungen des Films ist auch diese ungeschnitten – lediglich die Ausstrahlung bei VOX war durch Verfremdung zensiert (aber nicht gekürzt!). Das hier enthaltene Zusatzmaterial war übrigens in fast gleicher Form auf der Special Edition DVD von Barrell in den USA.

Fazit:
Verstörende, nicht leicht zu verarbeitende, aber lohnenswerte Kost aus deutschen Landen – in einer ebensolchen DVD Edition !!!

© Heiko Henning
15.8.2005


Infos beim Vertrieb/Verlag:
http://www.joergbuttgereit.de/ (externer Link!)




Letzte Aktualisierung: 14.04.2024, 14:42 Uhr
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