Peter Mair
Der Schmuckladen
Barbara schob sich den Schlagring über die Finger der rechten Hand. Einen Schlag. Mehr würde sie nicht kriegen.
Dann knöpfte sie den Ärmel der ozeanblauen Bluse zu. Der Mann in der pechschwarzen Schimaske, vor der Eingangstür, durfte keinen Verdacht schöpfen. Alles im Schmuckladen musste normal aussehen.
Oliver zog die pechschwarze Schimaske ganz übers Gesicht. Nur um sicher zu gehen. Es würde ohnehin niemand im Schmuckladen sein. Nicht an einem Sonntag.
Er blickte nach links in die Innstraße. Ein Dönerimbiss mit runter gelassenen Jalousien, eine aufgelassene Videothek und eine Brotfiliale, die nach dem Sonntagmorgengeschäft längst wieder geschlossen war.
Er sah nach rechts. Ein Computerladen, der der Fassade nach nicht mehr ganz so gut lief und ein zugeklebtes Schaufenster.
Kein Mensch trieb sich auf der Straße rum. Noch nicht einmal ein Auto fuhr hier lang.
Die Uhr am Stadtturm schlug sechs. Monoton und langweilig. Jetzt im März sollte es schon länger hell sein. Die Dämmerung aber hielt sich nicht daran und floss wie eine Flutwelle durch Innsbruck.
Oliver holte den Dietrich aus der Anorak Tasche. Sein Arbeitsgerät fühlte sich eisig an. Keine Wunder bei minus 18 Grad. Ein verspäteter Kälteeinbruch. Und nicht die geringste Aussicht auf den Frühling. Bei diesen Temperaturen wird es eine halbe Ewigkeit dauern die Tür aufzukriegen.
Vorsichtshalber drückte er die Klinke. Die Ladentür sprang auf. Er wartete auf das Schrillen der Alarmanlage.
Nichts. Totenstille.
Hat jemand vergessen die Tür abzuschließen? Konnte nicht anders sein.
Er überschritt die Schwelle und schloss die Tür. Rein und wieder raus. Selbst bei einem stillen Alarm, wäre er draußen bevor die Bullen aufkreuzen.
Der Laden wirkte ordentlich. Der Boden war frisch gewischt. Es roch nach Zitronen. Das erinnerte ihn an das Zeug, dass sie im Waisenhaus verwendeten.
Merkwürdig hier drinnen war es heißer, als bei einem Grillabend in der Hölle.
Noch konnte er verschwinden. Noch war nichts geschehen.
Er wartete zwei, drei Sekunden und der Drang abzuhauen ließ nach. Kommt von der Aufregung, redete er sich ein.
Knarren.
Er rührte sich nicht. In seinen Gedanken allerdings rannte er durch die Tür und die Straße runter.
Wozu aber weglaufen?
Die Frau in der ozeanblauen Seidenbluse beobachtete ihn schon, seit er reingekommen war. Zur Bluse trug sie einen ozeanblauen Rock, der bis über ihre Knie reichte. Bluse und Rock flatterten an ihr, wie an einer Bohnenstange.
Ihre Wangen waren eingefallen. Die Haare färbte sie pechschwarz. Ihre Augen schimmerten grau, wie die Straßen an einem verregneten Novembertag. Und sie roch nach zu viel Dior Nr.5.
Sie musste Mitte dreißig sein. Nicht älter. Auf eine eigentümliche Weise war sie hübsch, vielleicht sogar schön.
Um den Hals trug sie eine von diesen achtziger Jahre Ketten mit Namenschild dran. Darauf stand Barbara.
Warum hat er sich auf den Einbruch nur eingelassen?
Er hätte das Geld woanders bekommen können. Ein paar Hundewetten. Nichts Riskantes. Wenn er auf der sicheren Seite geblieben wäre, wäre das Geld nur so gesprudelt.
Er sollte aufhören sich diesen Scheiß einzureden. Bei keiner seiner Wetten kam Geld rüber.
Wegen der Wetten besuchte er doch den Schmuckladen. Weil das hier die todsichere Sache war. Und zwar die Einzige, die er am Laufen hatte.
„Die Diamanten und ich bin schneller weg, als sie blinzeln können.”, sagte er.
„Es gibt keine Diamanten.”, sagte Barbara.
„Wenn sie weiter atmen wollen, geben sie mir einfach das Zeug.”, sagte Olivier, zog die Glock und zielte damit auf die Frau.
„Mama!”, rief ein Junge aus dem Lager des Ladens.
Seine Stimme klang wie die eines Bussards, dem man gerade einen Flügel abhackt.
„Gleich!”, rief Barbara und kam auf Oliver zu.
Er wich zurück. Sie würde ihn nicht überrumpeln. Genug Schlampen hatten das versucht.
So wie Jessica, die Blonde mit den dicken Titten und der Tätowierung im Kreuz. Keine Ahnung was ihm an ihr gefallen hat. Vielleicht war’s auch gar nichts.
Jedenfalls versuchte sie ihm einzureden, der Bengel, den sie in dem knallroten Kinderwagen spazieren fuhr, wäre von ihm.
Na schön, er hatte sie gefickt. Ein paar Mal. Und?
Nach einer Tracht Prügel sah es das verlogene Miststück genauso wie er. Der Jungen stammte nicht von ihm. Ende der Diskussion.
Das gleich würde dieser Schlampe blühen, wenn sie nicht mit den Diamanten rüber kam.
Barbaras rechter Schwinger traf ihn mitten im Gesicht.
Er brüllte vor Überraschung. Schwankte. Hielt sich an der Wand fest um nicht umzukippen.
Womit hatte ihn die Scheiß Fotze erwischt?
Seine Zunge schmeckte nach Kupfer. Etwas Feuchtes rann über sein Kinn. Unter der Maske stank es plötzlich wie in einem Schlachthaus das in Akkord arbeitet.
Schmerzblitze explodierten vor seinen Augen. Hatte sie versucht ihm den Schädel einzuschlagen?
Etwas glitzerte auf ihrer rechte Faust. Ein Schlagring. Scheiße noch mal. Es war ein verdammtes Wunder, dass er noch stand.
„Ich hab Hunger, Mama!”, schrie der Junge.
„Warte!”, rief Barbara und hoffte der Mann würde in die Knie gehen und dann auf den Boden fallen.
Sie betete zu Gott, Er soll sterben! Er soll sterben!! Er soll sterben!!!
In dem Moment drückte Oliver ab. Der Knall donnerte in dem Laden, als würde das Haus über ihnen zusammen brechen.
Barbara riss die Augen auf und sank zu Boden.
Irgendwer in der Nachbarschaft hatte bestimmt den Schuss gehört. Spätestens in fünf Minuten würden die Bullen aufkreuzen. Oliver sollte die Diamanten einsacken und verschwinden. Denn wenn ihn die Polizei eintütet, würde alles noch schlimmer werden.
Im Knast würden ihn Markos finden. Das wäre dann sein endgültiges Ende.
Barbara drückte beide Hände auf ihren Bauch. Trotzdem rann das Blut auf den Boden.
Oliver hastete hinter die Theke.
War nicht seine Schuld, dass es passierte. Sie hätte ihn nicht schlagen dürfen. Nicht mit dem Schlagring. Wegen ein paar beschissener Steinen, die nicht mal ihr gehörten. Geschieht ihr recht, dass sie sich eine Kugel eingefangen hat.
Die Theke war ein hässliches weißes Ding aus Glas und Metall.
„Luis. Luis.”, rief Barbara.
Er hörte nicht hin. Dauert nämlich eine Weile bis man die letzten Worte eines Menschen vergisst. Die Weisheit stammte von einem Russen mit dem er gepokert hat.
Den Russen hat am Ende ein Full House umgebracht. Er regte sich zu sehr auf und sein Herz machte schlapp. Nicht unbedingt das was man von einer Glückssträhne erwartet.
Oliver zog die oberste Schublade aus der Theke. Plastikuhren. Er ließ die Schublade auf den Boden krachen.
„Luis!”, schrie Barbara.
Die restlichen Schubladen knallten ebenfalls auf den Boden. Es waren keine Diamanten im Wert von zwei Millionen drinnen.
Er lief hinter der Theke hervor und kniete sich neben Barbara.
„Also gut, Schätzchen.”, sagte er. „Dauert länger als sechs Stunden bis man an einem Bauchschuss krepiert. Und die Schmerzen werden bei jedem Atemzug stärker. Sag mir wo die Diamanten sind und ich tue was nötig ist um dich davon zu erlösen.”
Sie atmete ein. Ihre Lunge rasselte, als würde man eine rostige Zugbrücke runter lassen.
Er roch ihre Scheiße. Am Ende rochen sie alle gleich. Scheiße, das ist der Duft des Todes.
„Komm raus, Luis.”, rief Barbara.
„Verdammt noch mal. Die Diamanten. Wo sind sie?”, schrie Oliver.
Barbara sah an ihm vorbei zur Lager Tür.
Eine Junge, keine zehn Jahre alt, steckte den Kopf durch die Tür. Er war spindeldürr. Seine Haare hatten die Farbe von dreckigem Stroh. Seine Augen waren kreideweiß. Selbst die Pupillen versanken in all dem weiß.
Speichel tropfte von seinen schneeweißen Lippen. Der Rest von seinem Gesicht leuchtete Neon weiß. Würde ihm gut tun, ab und zu an die frische Luft zu gehen.
Er zitterte, als wäre ihm kalt. Obwohl es hier drinnen über dreißig Grad hatte.
„Schon gut, Luis.”, flüsterte Barbara. „Du darfst es tun.”
Luis schlich an der Theke vorbei, kniete sich neben Barbara und leckte ihr Blut, wie eine ausgehungerte Katze auf.
„Verdammte Scheiße!”, sagte Oliver und wich ein paar Schritte zurück.
Den Jungen störte das nicht, er leckte einfach weiter.
„Schmeckt es?”, flüsterte Barbara.
„Ja, Mama.”, sagte Luis und lächelte.
Barbara drehte sich zu Oliver und räusperte sich. Blut blubberte auf ihre Lippen.
Dieses Blubbern überraschte Oliver so sehr, dass er noch einmal abdrückte. Der Knall klingelte in seinen Ohren. Der Gestank von verbranntem Pulver versengte seine Nase.
Barbara heulte auf. Nur hörte es sich nicht traurig an, sondern so als hätte sie nach unendlich langer Zeit bekommen wovon sie träumte.
Luis wich nicht zurück. Es kümmerte ihn nicht groß, dass seine Mutter oder was immer diese Frau für ihn war, gerade eine Kugel in den Kopf kriegte.
Oliver hastete auf den Kasten neben der Theke zu. Ein fettes Schloss versperrte die Tür. Er schoss darauf. Das Schloss krachte auf den Boden und die Schranktür sprang auf.
„Scheiße!! Scheiße!!”, brüllte er.
Im Kasten gab es geschliffenes Glas und Goldkettchen, die pickelige Teenagerburschen ihren Freundinnen schenkten in der Hoffnung einmal einen Finger in sie zu stecken.
Markos würde ihm für das Zeug in dem Kasten nicht mehr als ein paar Tage Folter und zum krönenden Abschluss eine Kugel in den Kopf geben.
Geschliffenes Glas und die verdammten Goldkettchen wirbelten durch die Luft und regneten auf den Boden.
Luis blickte auf und sah ihn an. Die Augen des Jungen leuchteten jetzt eisblau, wie der Morgenhimmel in der Arktis.
„Es gibt keine Diamanten.”, sagte Luis.
„Kann nicht sein.”, sagte Oliver. „Markos persönlich hat mir den Tipp gegeben.”
„Mama kannte Markos.”, sagte Luis.
„Was?”, schrie Oliver.
Markos war genau der Schwanzlutscher dem er Geld schuldete. Um sich den Rest der Geschichte zusammenzureimen, brauchte man nicht besonders hell zu sein. Was immer Markos in der Schlampe sah, er wollte sie haben. Und ein frisches Paket Blut, das wäre Oliver gewesen, hätte sie sicher dazu gebracht ihre Schenkel für ihn zu öffnen. So einfach war Markos Rechnung.
Zwei, drei Straßen weiter heulten Sirenen auf. Bald würde die Polizei hier sein.
„Sag dem Arschloch Markos meine Schulden sind bezahlt.”, sagte er zu Luis. „Den schönen Gruß an ihn kannst du dir sparen.”
„Ich werde Markos nicht sehen.”, sagte Luis.
„Mir egal von wem er es erfährt.”, sagte Oliver. „Leb wohl Junge.”
Oliver wirbelte herum, um durch das Lager hinten raus zu rennen.
Da packte Luis seine Hand. Die Hand des Jungen fühlte sich kälter, als die einer tief gefrorenen Leiche an. Allerdings roch sie nach Frühling und Apfelblüten.
„Du willst mich doch nicht auffressen, wo ich dir eine warme Mahlzeit besorgt habe.”, sagte Oliver.
„Nein.”, flüsterte Luis. „Nicht wo du jetzt mein Papi bist.”
„Ich bin nicht dein Papi.”, sagte Oliver und versuchte seine Hand loszureißen.
Doch Luis umklammerte sie wie ein Eisenstock.
„Du hast mir zu essen gegeben.”, erklärte Luis. „Und wer mir zu essen gibt, der muss für mich sorgen. So sind die Regeln.”
Gegenüber parkte ein Polizeiwagen. Zwei Bullen mit verbissenen Gesichtern sprangen heraus.
Luis rührte sich nicht. Er ließ auch Olivers Hand nicht los. Er starrte die beiden Polizisten an, die sich vorsichtig dem Laden näherten.
„Worauf wartest du?”, brüllte Oliver.
„Ich bin hungrig, Papi.”, sagte Luis.
„Vergiss die Polizisten. Ich habe eine bessere Idee.”, sagte Oliver. „Als Nachspeise spendiere ich dir einen Markos Cocktail. Was hältst du davon, Junge?”
„Prima, Papi.”, sagte Luis.
Letzte Aktualisierung: 31.10.2024, 13:52 Uhr
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